Das Urgestein an der Drehorgel dankt ab

Das Urgestein an der Drehorgel dankt ab

Tradition: Mehr als 20 Jahre lang hat Rüdiger  Tenge in der Lemgoer Innenstadt die Blicke auf sich gezogen.

Jetzt hört der Kalletaler/Lüdenhausener mit dem Spielen auf. Sein Lebenswerk soll jedoch weitergeführt werden

Von Janet König

Lemgo. „Die strahlenden Kinderaugen sind das schönste Geschenk“, sagt Rüdiger  Tenge über seine Berufung. Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat der heute 70-Jährige mit seiner Drehorgel Spenden für einen guten Zweck erbeten. Auf Kläschen ist er ein Urgestein – und doch wird er im nächsten Jahr fehlen.  Tenge zieht sich zurück, denn die körperliche Belastung ist für den Senior mittlerweile zu groß. Seine geliebte Drehorgel hat er der Stiftung Eben-Ezer vermacht.

„Einen Orden kann ich Ihnen nicht verleihen, nehmen Sie stattdessen diese Münze“, schreibt Ernst Leopold Prinz zur Lippe in einem Brief an den Drehorgelspieler. Es ist ein Zeichen der Anerkennung. Eine von vielen Erinnerungen, die  Tenge über die Jahre gesammelt und sorgsam aufbewahrt hat. „Es gibt viele rührende Szenen, die sich abgespielt haben. Gerade vor Weihnachten“, sagt er.  Tenge war mit seinem Leierkasten viel unterwegs – auf Bauernmärkten, Stadtfesten, Hochzeiten – und eben auf Kläschen. Jetzt sei es Zeit zu gehen.

Der Abschied fällt dem 70-Jährigen nicht leicht, dafür habe das Musizieren zu viel Freude und Spaß bereitet. Doch irgendwann müsse man einen Schlussstrich ziehen. „Ich schaffe es gesundheitlich einfach nicht mehr“, gibt  Tenge zu. Nach einem Schlaganfall könne er sich nicht mehr so lange auf den Beinen halten. Noch dazu sei das Instrument einfach zu schwer: „Das macht der Körper nicht mehr mit.“ Doch sein Vermächtnis soll weiter bestehen, daher hat  Tenge die Orgel der Stiftung Eben-Ezer vermacht. Seinen Nachfolger möchte  Tenge im nächsten Jahr noch einweisen, denn der Profi weiß: Die richtige Technik will gelernt sein.

Zwar sei der alte Leierkasten vor Jahren elektronisch aufgerüstet worden, doch die traditionelle Lochbandorgel gebe es immer noch. Und bei dieser müsse richtig nach Takt gedreht werden. „Ohne Drehen läuft nichts“, sagt  Tenge. Das Spielen habe er sich über die Jahre selbst beigebracht. Schon als Kind beobachtete  Tenge im Ruhrgebiet Drehorgelspieler, die nach dem Krieg mit lebendigen Äffchen auf den Schultern umherzogen. Einen Affen wollte er nicht, aber drehen wollte er. „Ich habe gedacht: Wenn du mal groß bist, machst du das auch.“

In Erfüllung ging der Wunsch erst viele Jahre später. Anfang der 90er Jahre kam dem damaligen Angestellten der Stiftung Eben-Ezer die Idee zum Orgeln für den guten Zweck. „Ich wollte etwas Sinnvolles machen“, erinnert sich  Tenge. Also zog er los, fand das passende Instrument in der Nähe von Köln und ließ es in einer Musikantenschmiede restaurieren. Seitdem hat  Tenge allein in der Lemgoer Innenstadt Tausende Kinderaugen zum Leuchten gebracht. Im nächsten Jahr wird ein anderer seinen Platz im handgefertigten Weihnachtsmannkostüm einnehmen. „So zieht die Zeit dahin“, sagt  Tenge. Die Weihnachtszeit gehöre ab jetzt ganz allein der Familie.


Eine Orgel für Eben-Ezer

Rüdiger  Tenge hat seine Drehorgel der Stiftung Eben-Ezer vermacht. Im nächsten Jahr soll der traditionelle Leierkasten zu Kläschen wieder im Einsatz sein. Wer sich dann das Weihnachtsmannkostüm überstreifen wird, steht noch nicht fest. „Wir sind sehr dankbar, wie sehr sich Rüdiger  Tenge über die Jahre für unsere Stiftung eingesetzt hat“, betont Eben-Ezer-Pressesprecherin Ingelore Möller: „Es waren immer schöne Treffen und Begegnungen.“ Die Drehorgel sei nun stilvoll in der Kirche der Stiftung untergebracht und warte auf ihren nächsten Einsatz. (jk)


© 2016 Lippische Landes-Zeitung
Lippische Landes-Zeitung, Samstag 24. Dezember 2016

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